Hans Lohmeyer: Kirche und Kloster


Der Kirchenraum nach der Umgestaltung 1987

 

Predigt von P. Johannes Witte OP

Der Kirchenraum - eine Kraft die strukturiert

Was wären Städte wie Köln oder Mailand ohne ihre Dome? Was Freiburg oder Magdeburg? Städte werden durch Kirchen gegliedert und geformt. Sie sind Landmarken und unverwechselbare Akzente. Wenn man sich von fern einer Ortschaft nähert, dann erkennt man oft zuerst an einem Kirchturm, um welchen Ort es sich handelt.

Was wäre nun Braunschweig ohne die Kirche St. Albertus Magnus?Diese Frage klingt vermessen. Zwar ist die künstlerische Ausstattung von Gerd und Ingmar Winner einzigartig, unter Kunstkennern bundesweit bekannt und in den 90er Jahren durch die Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst ausgezeichnet worden. Dem Bau selbst jedoch scheint alles Besondere zu fehlen, so einfach und nüchtern er gestaltet ist. Ich selbst war leicht enttäuscht, als ich zum ersten Mal diesen Raum betrat. An eine Fabrikhalle fühlte ich mich erinnert.

Und doch hat die Kirche, wie sie mitten im Univiertel dasteht, zwischen Wohngebäuden, Betrieben und Instituten, ihren Platz und ihre Bedeutung. Und auch wenn sie keine gotische Kathedrale ist, hat sie durchaus ihre Schönheit. Und sie hat uns einiges zu sagen.

Kirchen sind ja nicht nur Zweckbauten. Sie sind auch voll von Symbolik, von geheimnisvollen Zeichen - selbst ein scheinbar so einfacher Raum wie dieser. Schon der Patron dieser Kirche, der große Dominikaner Albertus Magnus, hatte gesagt, dass der Raum eine Kraft ist, die herstellen, bewirken und strukturieren kann. Was kann aber dann dieser Raum herstellen, bewirken und strukturieren?

Das Zelt als Urbild

Um dieser Frage nachzugehen, müssen wir in der Geschichte weit zurückgehen, und zwar mehr als 3000 Jahre. In diese Zeit, die Epoche des Pharao Ramses II., fällt ein Ereignis, das sich in der Bibel in der großen Erzählung des Exodus, des Auszugs aus Ägypten niederschlägt. Sie berichtet, wie das Volk Israel 40 Jahre lang durch die Wüste zieht. Mit dabei ist die Bundeslade, das Symbol der Gegenwart Gottes. Sie wird aufbewahrt in einem Zelt, von dessen Aussehen uns die ersten biblischen Bücher einen Eindruck vermitteln.

Dieses Zelt ist das Urbild aller späteren jüdischen und christlichen Sakralbauten. Es ist auf besondere Weise auch das Urbild unserer Kirche. Wenn Sie sich umschauen, werden Sie es schnell erkennen: Sie sehen die Zeltstangen, das einfache Zeltdach, den rautenförmigen Grundriss.

Es hat seinen tieferen Sinn, wenn unsere Kirche an dieses heilige Zelt erinnert. Vielen Menschen war und ist sie Station auf ihrem Lebensweg, besonders wenn er zeitweise wie ein Weg durch die Wüste erscheint. Seit fast 50 Jahren ist sie dieser Gemeinde Weg-Zelt. Dieses Zelt erinnert uns als Gemeinde und als Kirche daran, dass wir auf dem Weg sind. Es gibt uns Anstoß, weiterzugehen, nicht stehenzubleiben. Und es will uns immer wieder Mut dazu machen. Denn es erinnert uns daran, wohin wir alle unterwegs sind. Es verweist auf das Ziel, das gelobte Land, das ewige Haus.

Was unser Leben trägt

Später dann bekamen die Zeltstangen eine neue Bedeutung. Wenn Sie einmal nachzählen, werden sie auf die Zahl 12 kommen. Natürlich ist das kein Zufall, denn diese Zahl steht zunächst für die 12 Stämme Israels, dann auch für die 12 Apostel, die Säulen der Kirche.

Weiter gefasst sind die Säulen ein Sinnbild für die Tradition, die den Bau der Kirche über die Jahrhunderte trägt, die ihm Festigkeit und Bestand gibt. Ohne die Säulen der Überlieferung – an erster Stelle ist das die Bibel aber dann auch die kirchliche Lehre – wäre der Glaube nicht tragfähig, hätte er nicht 2 Jahrtausende überdauert. Auf diese Weise spricht dieser Raum nicht nur von den Fundamenten des Glaubens, er kann uns auch die Frage stellen, was unseren Glauben, was unser Leben trägt, was ihm Festigkeit verleiht.

Ort der Begegnung

Viele Jahrhunderte nach dem Exodus, in der Zeit des römischen Reiches und des frühen Christentums, bekamen die Sakralbauten neue Anstöße. Vorbild wurde nun der römische Thronsaal. Nach dem griechischen Wort basileús (Kaiser oder König) wurden diese Bauten "Basiliken" genannt. Es waren Empfangssäle, ursprünglich gebaut für die Begegnung mit dem Herrscher, nun errichtet für die Begegnung mit Gott.

Der Thronraum als Vorbild ist auch bei uns deutlich zu erkennen. Betritt man die Kirche durch das Hauptportal, dann erschließt sich gleich, wie alles auf den Altarraum ausgerichtet ist. Die Kirche verjüngt sich leicht in der Breite, man geht oder schreitet durch den Mittelgang auf das Zentrum zu, auch die Kirchenbänke sind darauf ausgerichtet. Sogar die Apsis, der Standort des Throns, ist zumindest angedeutet.

Die Kirche wird also zum Ort der Begegnung. Nun aber nicht mit einem römischen Herrscher, sondern mit einem ganz anderen König. Denn den Thron ersetzt nun der Altar. Und der ist kein Zeichen königlicher Gewalt, sondern Symbol für Christus, für den König, der einer von uns wird, der sich hingibt, damit wir leben.

Ein lebendiger Raum

Und noch mehr: Ein Altar, das ist zunächst einmal ist ein einfacher Tisch. Ein Tisch, um den sich Menschen versammeln. Das bedeutet: Das Zentrum dieses Raumes ist nicht nur Christus, sondern mit ihm alle, die sich zu seinem Mahl versammeln. Dieser Raum wird erst wirklich lebendig durch die Menschen, die darin sind, schauen, beten, singen, hören, feiern – durch uns.

Ihr seid Gottes Tempel! so sagt es Paulus im 1. Korintherbrief. Und im Epheserbrief haben wir vorhin gehört: Ihr seid Gottes Wohnung. Ihr selbst seid ein Kirche, in der Gott lebt, beseelt von seinem Geist, den das große Heilig-Geist-Fenster so eindrucksvoll symbolisiert. Dieser Raum erhält seine Bedeutung vor allem durch die Menschen, die darin ihren Glauben erfahren und ausdrücken. Die Bausteine, die in dieser Kirche durch keinen Putz verdeckt sind, können Symbol dafür sein, Symbol für die lebendigen Bausteine, die diese Gemeinde seit Jahrzehnten aufbauen und tragen, jeder auf ganz eigene Weise.

Es ist ein Raum, gefüllt mit Geschichten und Geschichte. Mit Erinnerungen an Menschen, die hier ihren Glauben erfahren und gelebt haben. Erinnerungen an all die Messen, Taufen, Trauungen und Beerdigungen, die Erstkommunion- und Firmfeiern. An die großen Lebenswenden, die hier begangen wurden und die stillen Gebete, die hier gesprochen wurden.

Vor einiger Zeit erzählte mir ein älteres Paar von ihrer Trauung in St. Albertus Magnus, die zu den ersten gehörte, die hier gefeiert wurden. Und eine andere Frau aus unsere Gemeinde erzählte mir erst kürzlich, wie sie beim Bau geholfen hatte. Auf ähnliche Weise hat sicher jede und jeder von uns eine eigene Geschichte mit diesem Raum, wenn auch wohl meist eine weniger lange. Manche haben schon seit langem ihren Stammplatz, vielleicht heute einen anderen als früher. So kann eine lohnende Frage sein: Was ist meine Geschichte mit diesem Raum - meine oder die meiner Familie, meiner Eltern oder Kinder? Und welches ist mein Ort in diesem Raum? Welches ist mein Ort in dieser Gemeinde, in der Kirche?

Eine Baustelle

St. Albertus Magnus, errichtet 1958, ist nun schon seit fast einem halben Jahrhundert fertig. Gleichzeitig aber wird weiter gebaut. Ich meine jetzt nicht nur die Orgel, den Turm oder demnächst den Vorplatz, sondern die Menschen, aus denen und von denen dieser Bau lebt. So wie das Leben eine Baustelle ist, so ist es auch die Kirche. Und das ist gut so.

Dieser Raum, so einfach und schmucklos er ist, er lädt uns ein weiterzubauen - mit einem Gott, der mit uns auf dem Weg ist, der uns begleitet, wie damals das Volk Israel, der uns trägt und uns begegnen will, der uns Ruhepunkt ist, Weg und Ziel.

© Johannes Witte, Braunschweig 2006

 


Das Kloster vor der Umgestaltung des Kirchvorplatzes 2009

 

Informationen zum Bau

Das Dominikanerkloster 
wurde 1958, wenige Jahre vor dem II. Vatikanischen Konzil, von dem Kölner Architekten Hans Lohmeyer im Auftrag des Dominikanerordens gebaut.

Zur gleichen Zeit erfolgte die Gründung der katholischen Kirchengemeinde St. Albertus Magnus; die Gemeinde nutzte die Klosterkirche als Pfarrkirche und Teile des Klostergebäudes für ihre Veranstaltungen.
 
1970 wurde der zu klein gewordene Klosterkomplex durch einen großzügigen Anbau mit Versammlungsräumen für die Kirchengemeinde und einem Großen Saal für öffentliche Veranstaltungen erweitert.

1986 erfolgte eine erste gründliche Innenrenovierung der Kirche. Dabei erfuhren die wesentlichen Elemente des Altarraums - der Altar, der Ambo, der Tabernakel, das Lesepult bis hin zu dem Vortragekreuz, den Kerzenleuchtern, Sedilien und Blumenvasen eine Um- und Neugestaltung durch Prof. Gerd Winner (Liebenburg/München).