Menashe Kadishman: Pietà


Menashe Kadishman: Pietà

 

Predigt von P. Peter Kreutzwald OP

Ihr alle, die ihr des Weges kommt

Wer sich vom Ring kommend über die Brucknerstraße der Kirche St. Albertus Magnus nähert, dem reckt eine kräftige Frau den schlaffen Körper eines Mannes entgegen, der fasst zu zerreißen droht. Wahrscheinlich eine Mutter, die ihren toten Sohn klagend in die Höhe stemmt. Mir jedenfalls legen die breiten Hüften und die hängenden Brüste der Frau diese Vermutung nahe.

Dargestellt ist das Ende einer Geschichte: das Ende einer Geschichte, die eine Mutter mit ihrem Sohn hatte. „Ihr alle die ihr des Weges geht, schaut und seht, ob es einen Schmerz gibt, dem meinem gleich?!“ (Buch der Klagelieder 1,12)

Beschreibung der Skulptur 

Menashe Kadishman hat Mutter und Sohn wie eine Zeichnung in eine Stahlplatte geschnitten und dann - aus der Platter heraus - hochgeklappt. Auf dem Boden – auf Mutter Erde – zeichnet sich das Motiv auf diese Weise ein 2. Mal ab. Grün wie das Gras oder weiß wie der Schnee.

Und auch die Gesichter des Mannes und der Frau gleichen eher denen einer kargen Zeichnung, den Gesichtern von Strichmännchen, als denen einer modellierten Büste.

In der Flächigkeit und in der Beschränkung auf wenige Striche gleicht die Skulptur einem Piktogramm. Sie ist kein Piktogramm, dafür besitzt sie viel zu viel Ausdruck, aber wie ein Piktogramm hat sie Zeichencharakter. So macht sie es uns leicht, in ihr ganz verschiedene Mütter und Söhne zu erblicken, oder gar uns selbst entweder in der Rolle der leidenden Mutter, oder aber der des toten Sohnes zu sehen.

Und genau dazu fordere ich Sie auf und lassen Sie sich davon auch nicht abbringen dadurch, dass ich im Folgenden von einer ganz bestimmten Mutter und einem ganz bestimmten Sohn spreche, von Maria und Jesus.

Mit Maria in der Rolle der Frau und Jesus in der Rolle des Mannes, lässt sich für mich die Skulptur am besten erschließen, wenn ich sie in den Kontext der Bilder stelle, auf denen Jesus mit seiner Mutter zu sehen ist.

1. Bild 

Das erste Bild trägt den Titel: „Flucht nach Ägypten“ (Matthäus 2,13-18).

Der Sohn ist kaum geboren, schon bestimmt er das Leben der Eltern. Er ist der Grund, dass sie ihre Sachen packen und fliehen müssen. Sein Leben gilt es zu schützen.

Ein Neugeborenes hat einen hohen Stellenwert. Es ist selbstverständlich,  dass Eltern um seinetwillen große Opfer auf sich nehmen.

Andererseits: Zu spüren, so wichtig genommen zu werden, das gibt dem Leben Kraft und Stärke. Davon kann ein Mensch zehren – sein Leben lang.

2. Bild

Die zweite Bild zeigt die Hochzeit zu Kanaa (Johannes 2,1-10).

Als die Mutter den Sohn darauf aufmerksam macht, dass der Wein ausgegangen sei, da fährt er sie schroff an: „Was habe ich mit dir zu schaffen Frau. Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“

Wir wissen: keine Mutter und kein Vater kann darüber bestimmen was aus ihren Kindern wird, was sie zu tun haben, erst recht nicht, wenn sie erwachsen sind. Und dennoch reden und handeln Menschen immer wieder gegen dieses bessere Wissen.

  • Eltern, die nicht wahrhaben wollen, dass ihre Kinder erwachsen geworden sind, die ihnen nichts zutrauen und sich ständig einmischen.
  • Eltern, die ihre Kinder in ihre eigenen Kämpfe verstricken. Sie vererben ihnen ihre Feindschaften wie z.B. in Israel, dem Heimatland Kadishmans.
  • Eltern, die ihren Kindern ihre Träume aufzwingen. Die Kinder sollen leben, was sie selbst für sich erhofft und erträumt haben.

3. Bild

Das dritte Bild stellt Jesu Abnabelung dar (Markus 3,31-35).

Maria ist auf der Suche nach ihrem Sohn, doch der weist sie ab. Allein Gott sei ihm Vater, herrscht er sie an und wendet sich von den Bindungen ab, die Geburt und Herkunft nahe legen.

In unserem Leben müssen wir immer wieder loslassen. Und etwas loszulassen, was mir lieb und teuer ist, ist besonders schwer. Natürlich ist es für Eltern immer schwer, ein geliebtes Kind ziehen zu lassen. Es loszulassen.

Und es stimmt, es ist nicht ausgewogen, das Verhältnis zwischen den Kindern und ihren Eltern und insbesondere das der Söhnen zu ihren Müttern. Fast immer bleiben die Söhne den Müttern Wesentliches schuldig.

Rahmenerzählung

Aber Maria muss ihren Sohn noch in einem anderen Sinne loslassen.

Jesus ist als junger Mann gestorben, um die 30 Jahre alt. Und wenn Maria bei Jesus Geburt so jung war, wie es die Bezeichnung „Jungfrau“ vermuten lässt, dann war sie keine 50 Jahre alt, als ihr Sohn ermordet wurde.

Ich kann mir ihren Schmerz nicht vorstellen, aber die Weise, in der Maria den Leichnam ihres Sohnes klagend hält, spricht Bände.

Auch am Lebensbeginn hält sie ihn in ihren Armen. Gerade in St. Albertus Magnus gibt es eine Fülle von Darstellungen, wie Jesus behütet und geborgen auf dem Schoß der Mutter sitzt.

Es ist als bekämen wir eine Rahmenerzählung angeboten: Geburt und Tod sind ganz bezogen auf Maria, liegen gewissermaßen in ihren Händen.

Dazwischen liegen Begebenheiten großer innerer Spannung, Ereignisse voller Ungerechtigkeit und voller Missverständnisse.

Und nur weil Gott ein Liebhaber des Lebens ist, können wir bekennen: Die Skulptur der Pieta, die klagende Mutter und ihr toter Sohn schreien nicht nur: "Ihr alle, die ihr des Weges zieht, schaut her, ob ein Schmerz ist, gleich unserem Schmerz". Sie flüstern auch "Das was ihr da seht, das ist nicht das Ende der Geschichte von Mutter und Sohn!" Denn: die Geschichte geht ja weiter, als Geschichte von Ostern. Das jedenfalls glauben und hoffen wir.

© Peter Kreutzwald, Braunschweig 2006

 

Informationen zum Künstler