Gerd Winner: Eingangsportal


Gerd Winner: Eingangsportal, 2009

 

Predigt von P. Johannes Witte OP

Predigt zur Neugestaltung von Kirchenportal und Kirchvorplatz

Neulich sah ich eine junge Frau auf den Stufen des Kirchvorplatzes sitzen, die mit ihrem Handy beschäftigt war, vielleicht eine SMS schrieb. Warum sie sich gerade diesen Ort dafür ausgesucht hatte, weiß ich nicht, aber offensichtlich hat sie sich dort wohlgefühlt. Ähnliches kann man in letzter Zeit häufiger beobachten: Man sieht Erwachsene auf dem Platz zusammen stehen, ins Gespräch vertieft oder die Kirchentüren betrachtend, Jugendliche versammeln sich dort mit ihren Fahrrädern, Kinder laufen die Linien im Pflaster entlang oder balancieren auf dem schon früher so beliebten Mäuerchen. Ganz offensichtlich halten Menschen sich gern hier auf, ob sie mit unserer Kirche etwas zu tun haben, oder nicht. Sicher hängt das damit zusammen, dass man schon auf den ersten Blick wahrnimmt: Es ist schön geworden. Das sagen auch die vielen positiven, zum Teil begeisterten Reaktionen, die uns in letzter Zeit erreicht haben. Wo vorher galt: "Innen hui, außen pfui", ergeben nun das Innere und das Äußere der Kirche endlich ein aufeinander bezogenes Ganzes, sind eine Einheit geworden. Und es ist nicht nur sehr viel schöner geworden, man kann nun auch in die Kirche eintreten, ohne sich an provisorischen Stützen vorbeizwängen zu müssen, eine Stufe zu überwinden, oder Gefahr zu laufen, über schiefe Gehwegplatten zu stürzen.

Das allein ist eigentlich schon viel, aber es ist noch längst nicht alles. Die Kirche ist nicht nur besser zugänglich geworden, sie hat nicht nur ein neues, anziehendes Gesicht bekommen, sie hat auch begonnen, zu sprechen. Ich vermute, dass dies ein weiterer Grund ist, warum sich viele von diesem Platz angezogen fühlen. Denn wo man früher lediglich eine normale Eingangssituation vorfand, da werden jetzt Zeichen sichtbar - Symbole, die sich nach und nach erschließen. Das allein ist schon eine Aussage, ist von Bedeutung. Man kann den Glauben ja verstehen als Entzifferung des Lebens. Das Leben immer wieder neu lesen zu lernen und insbesondere die Rolle, die Gott darin spielt, die Zeichen zu deuten und sie als Zeichen der Gegenwart Gottes zu erkennen - das bedeutet, zu glauben. Das ist der Grund warum die Kirche von Anfang an auf die Kunst gesetzt hat, denn beide sind seit alters her Geschwister.

Der Vorplatz ist gegenüber früher angehoben worden, die Stufen sind zum Gehweg vorverlagert. Dadurch entsteht ein erhöhtes Areal, ein Bezirk, der herausgehoben ist aus dem Alltägli¬chen. Man fühlt sich an einen heiligen Bezirk erinnert, wie er z.B. den Tempel in Jerusalem umgab. Die Kirche selbst aber betritt man nun ebenerdig. Sie steht nun wirklich auf der Erde, mitten im Leben
Entstanden ist eine Art Piazza, die übrigens mit der gitterartigen Struktur im Pflaster die ur¬sprüngliche Planung aus dem Jahr 1958 wieder aufnimmt. Wer in Rom schon einmal auf dem Kapitol, dem Platz am Forum Romanum gestanden hat, mag sich daran erinnert fühlen. Zum italienischen Eindruck trägt auch bei, dass unser Turm - oder sollte man sagen: der "Campanile" - nun auch optisch wirklich auf dem Platz steht.

Besonders aussagekräftig ist natürlich das neue Portal. Auf den ersten Blick nimmt man einzelne Buchstaben wahr, aus denen sich nach und nach lateinische Wörter bilden. So wird schon beim Eintreten in die Kirche klar: In diesem Haus geht es um das Wort. Wir werden eingeladen, zu hören, denn vom Hören lebt der Glaube.
"Im Anfang war das Wort" - so hören wir am ersten Weihnachtstag im Evangelium. "Im Anfang war das Wort" - und nicht die Wörter. Wir alle sind in unserer Zeit einem beständigen Wörterschwall ausgesetzt. Fortwährend will etwas unser Ohr erreichen und nicht nur der email-Verkehr, unsere ganze Lebenswelt ist komplett "spamisiert". Da ist es umso wichtiger, in den Worten, die nur so dahingesprochen sind, die Worte zu finden, die mich wirklich betreffen, die wesentlich sind, die helfen. "Meine Worte", so sagt Jesus im Markusevangelium, "werden nicht vergehen". Auf sie könnt ihr euch verlassen. Dass die Worte auf den Türen aus dauerhaftem, quasi unvergänglichem Edelstahl geformt sind, ist deshalb eine gute, eine zeichenhafte Wahl.

Das ist auch deshalb so, weil die Türen nicht nur dauerhaft sind, sondern zugleich transparent. Es spiegelt sich darin die Wirklichkeit der Welt. Das Lichtspiel der Ampel, die Scheinwerfer der Autos, erzeugen einen ständig wechselnden Widerschein. Das Pulsieren des Lebens, das Unterwegssein der Menschen bildet sich ab. Und nicht nur das - wer vor den Türen steht, wird selbst einbezogen in dieses Spiel, kann sich selbst darin erkennen. So wird deutlich: Es geht in diesem Haus nicht um abstrakte, weltfremde Theorien, um eine andere Welt, die mit der uns¬rigen nur wenig gemeinsam hat. Sondern es geht um diese unsere Wirklichkeit, es geht um mich. Ich selbst bin gemeint, mit allem, was ich an Sorgen und ängsten mitbringen mag. Gott meint mich und er spricht mich an. Und vor ihm darf ich mich getrost anschauen lassen, mich getrost auch selbst anschauen, ohne irgendetwas verstecken. Ich darf sicher sein: Er meint es gut mit mir.

Diese Aussage wird noch konkreter, wenn man den Sinn der Buchstaben und Worte kennt. Viele haben am Anfang dagestanden und gerätselt, was diese Wörter bedeuten könnten. Eini¬gen ist es sogar gelungen, sie zu entziffern. Es ist der Beginn des "Salve Regina", dieses klas¬sischen Hymnus aus dem 11. Jahrhundert, der die Gottesmutter Maria besingt und der die Vesper als Abendgebet beschließt. Sie finden ihn im Gotteslob auf Latein und Deutsch unter den Nummern 570 und 571. "Salve, Regina, mater misericordiae, vita dulcedo" lauten die ersten Worte: "Sei gegrüßt, o Königin, Mutter der Barmherzigkeit, unser Leben, unsere Wonne."
Schon bevor man an das Portal gelangt, ist man auf eine Marienstatue getroffen - die "Porte du Ciel", die "Himmelspforte" von Jean Ipoustéguy. Gerd Winner hat nun mit den Türen eine eindrucksvolle Fortsetzung dieses Gedankens geschaffen. Wie Maria am Beginn des irdischen Lebens Jesu steht und damit am Beginn des Weges zur Erlösung, zum Himmel, so verweisen auch die Kirchentüren auf das, was wir drinnen erfahren können. Sie sind wirkliche Himmelspforten. Zwar würde niemand behaupten, dass der Kirche schon den Himmel darstellt, vor allem im Winter nicht, bei doch sehr kühlen Temperaturen. Aber es ist ein besonderer Ort, an dem wir Gott begegnen, der im Getriebe des Alltags den Himmel offenhält. Und jede Messe, die wir hier feiern, wenn wir Gottes Wort hören und die Kommunion empfangen, ist so etwas wie ein Vorgeschmack auf das, was wir erwarten dürfen. Die Zeit im Kirchenjahr, in der wir uns gerade befinden, der Advent, will uns immer wieder neu dafür öffnen.

"Misericordia" - "Vita" - "Dulcedo": Mitleid, Leben und Wonne - das sind die Worte, die uns empfangen. über ein halbes Jahrhundert sind Menschen durch das alte Portal in die Kirche eingetreten. Hoffentlich ebenso viele Jahre und noch mehr werden Menschen durch das neue Portal treten. Sie werden dabei einiges mitbringen und in die Kirche tragen: Die Erlebnisse, Erfahrungen und Begegnungen der letzten Zeit, Freude und Begeisterung auf der einen Seite, Trauer, Angst und Schmerz auf der anderen. Das Portal macht deutlich: Das alles hat in diesem Haus einen Platz. Wer Mitleid nötig hat, der trete ein. Wer nach einem Leben sucht, das diesen Namen wirklich verdient, der trete ein. Ebenso wer voll Freude oder Wonne ist und Grund zur Dankbarkeit hat. "Misericordia" - "Vita" - "Dulcedo" - Mitleid, Leben und Wonne, das ist, was wir erwarten dürfen.

Der Kirche wird oft nachgesagt, dass sie vor allem für die Menschen da ist, die bestimmten Ansprüchen genügen, deren Leben nach kirchlichen Maßstäben einigermaßen geordnet ist. Diese Tür soll offen sein, offen für alle. Und so ist der neugestaltete Platz mit seinem Portal mehr als eine gelungene gestalterische Lösung einer Eingangssituation. Sie ist zugleich ein Programm für Kloster und Gemeinde: den eigenen Glauben als eine Einladung für andere zu verstehen. Niemanden auszugrenzen, sondern offen zu sein für das, was Menschen bewegt, besonders für das, was Menschen an diesen Ort führt. öffnen wir also unsere Türen!

© Johannes Witte, Braunschweig im Dezember 2009

 

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