Pater Odilo Braun

Pater Odilo Braun OP (1899-1981)

von P. Wolfgang Stickler OP

 

P. Odilo Braun OP war in den Jahren 1941 bis 1945 maßgebliches Mitglied des "Ausschusses für Ordensangelegenheiten" der Deutschen Bischofskonferenz, einem der bedeutendsten katholischen Widerstandskreise gegen das nationalsozialistische Regime.

(Die folgenden Ausführungen sind zusammengestellt nach dem hervorragend recherchierten kirchenhistorischen Werk von Antonia Leugers: "Gegen eine Mauer bischöflichen Schweigens. Der Ausschuss für Ordensangelegenheiten und seine Widerstandskonzeption 1941-1945." Frankfurt, Knecht-Verlag 1996. Auf 560 Seiten gibt Leugers auf der Grundlage zahlreicher wiederentdeckter Dokumente aus privaten Nachlässen einen spannenden Einblick in das Bemühen des Ordensausschusses, Einfluss zu nehmen auf die Verlautbarungen und das politische Handeln der damaligen Bischofskonferenz unter ihrem Vorsitzenden Kardinal Bertram.)

Biografie


P. Odilo Braun (Kriegsende 1945)

Am 18. November 1899 in Danzig als siebtes von neun Kindern geboren, erhielt er den Namen Leo Braun. Die familiären Verhältnissen waren sehr karg: er wuchs in einer beengten und ungesunden Kellerwohnung in Danzig auf. Sein Vater hatte das Schuhmacherhandwerk aufgegeben und versah den Dienst als Küster. Den Besuch des Städtischen Gymnasiums musste Braun 1916 unterbrechen, um zum Unterhalt der Familie beizutragen, nachdem sein ältester Bruder im Krieg gefallen war.

Gerechtigkeitssinn, Humor, keine Angst vor Autoritäten - das kennzeichnete schon den Schüler Leo Braun in Danzig. Rückblickend beschrieb Braun seine Leitwerte: Von seinen Eltern sei er so erzogen worden, sich "immer für die Sache einzusetzen, auch unter persönlichem Einsatz und Opfer."

Das Ideal für Menschen in Not da zu sein und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen, habe er sich zum Lebensprogramm gemacht. Nach einer Lehre im Reederei- und Speditionswesen trat er - für seine Freunde überraschend - am 22.Oktober 1926 im Alter von 27 Jahren in den Dominikanerorden ein und erhielt den Ordensnamen Odilo.
"Die Not der Menschen, der man sich täglich gegenübersah, hatte den Entschluss zum Reifen gebracht", beschreibt Braun seinen Schritt.

Nach dem Noviziatsjahr fand ab 1928 das Studium der Philosophie und Theologie an der Ordenshochschule in Walberberg (bei Bonn) sowie in Düsseldorf statt. Seine Studien beendete er I934 in Löwen/Belgien. Am 23. Oktober 1930 legte Odilo Braun die feierlichen Ordensgelübde ab und wurde somit dem Orden ganz eingegliedert. Die Priesterweihe empfing der Dominikaner am 24. Februar 1933 im Dom zu Köln von Kardinal Schulte. Odilo Braun zählte damit zum ersten Weihekurs unter der neu gebildeten nationalsozialistischen Regierung.

Im Unterschied zu vielen katholischen Christen - und auch vieler seiner Mitbrüder im Dominikanerorden -, stellte sich Odilo Braun von Anfang an gegen das nationalsozialistische Regime. Braun benannte später wiederholt die Erlebnisse, die ihm den Unrechtscharakter des Dritten Reiches schlagartig geoffenbart hätten: am Abend des 5. März 1933, dem Tag der Reichstagswahl, übernachtete er im Franziskanerkloster in Dorsten, das gegenüber vom Polizeipräsidium lag. Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse, so Braun, "tat sich die Hölle auf. SA-Horden schleppten ihre Opfer herbei". Die Nacht sei erfüllt gewesen "von dem Gejohle der Schläger, von den Schmerzensschreien der Misshandelten".

Am 9. November 1938, musste Braun entsetzt auf dem Rückweg vom Dienst in Köln den Synagogenbrand mit ansehen. Bei einem Besuch seiner kranken Mutter in Danzig, Monate nach dem überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen 1939, erfuhr er davon, dass Mitbrüder, Freunde, Schulkameraden und sein früherer Zahnarzt in das Konzentrationslager Stutthof verschleppt worden waren.

Ab 1934 wurde P. Odilo Braun vom Orden beauftragt, sogenannte Volksmissionen in Pfarreien zu halten, Exerzitien und Einkehrtage für Gruppen zu veranstalten. Während seines pastoralen Einsatzes gewann Braun einen breitgefächerten Einblick in die jeweilige örtliche Lage im nationalsozialistischen Deutschland.

1937 erhielt Braun von der Gestapo eine Verwarnung aufgrund einer kritischen Predigt. In einer noch erhaltenen Predigtskizze aus demselben Jahr formulierte er zum Thema "Sünde": "Niemand darf ausgeschlossen sein, kein Volk, keine Rasse. Erlösung durch das Blut der Rasse [ist] unmöglich, nur durch das Blut Christi. Christus [ist] für alle gestorben".

Mitte 1936 übertrug der Dominikanerorden Odilo Braun die Leitung des Albertus-Magnus Verlages in Vechta und die Schriftleitung der Missionszeitschrift "Der Apostel". Braun bekam hier die Intentionen der NS-Seite im Presse- und Verlagswesen unmittelbar zu spüren und entschied in Absprache mit der Ordensleitung, sich den Auflagen der Zensur nicht zu beugen. Der Verlag wurde geschlossen. Im Herbst 1939 untersagte schließlich die NS-Seite das Erscheinen der Zeitschrift wegen "Papiermangels".

Als Odilo Braun 1938 aufgrund seiner kaufmännischen Fähigkeiten das Amt des Syndikus, des Wirtschaftsverantwortlichen der Dominikanerprovinz Teutonia, übernehmen sollte, "bekam ich Angst, nicht mehr Seelsorger sein zu können, womöglich die Liebe zur Seelsorge verlieren und zum Finanzier werden zu können - mit all den menschlichen Unausgeglichenheiten und Schwächen, die so leicht damit verbunden sind".

P. Odilo war von seinem Wesen her ein Seelsorger. Am 1. August 1940 wurde Odilo Braun vom Orden ein anderes Amt bestimmt: das "Generalsekretariat der Superioren-Vereinigung" in Berlin. Die "Superioren-Vereinigung" war ein Zusammenschluss aller Missionsorden in Deutschland. Eine Besprechung im Reichspropagadaministerium am 12.9.1940, zu denen Vertreter der Orden wie Pater Odilo Braun als Generalsekretär der "Superioren-Vereinigung" und Verantwortliche der evangelischen Kirche geladen wurden, und bei der auch Vertreter des Oberkommandos der Wehrmacht, Gestapobeamte und SS-Angehörige anwesend waren, wurde für Odilo Braun zum Schlüsselerlebnis für zukünftige Konfrontationen. Ministerialdirektor Guttner forderte bei diesem Treffen von den katholischen Orden "eine andere, d.h. mehr positive Einstellung dem Zeitgeschehen gegenüber, vor allem, was den Krieg angeht, zu finden".

Im Zusammenhang mit dem "Klostersturm", d.h. der Unterdrückung und Auflösung zahlreicher Klöster durch die Nationalsozialisten, beschloss die "Superioren-Vereinigung" am 27. Mai 1941 in Berlin die Selbstauflösung. Man wollte so Plänen der Gestapo zuvorzukommen. Um jedoch die Interessen der Orden weiterhin wirksam vertreten zu können, konstituierte sich daraufhin im Sommer 1941 der "Ausschuss für Ordensangelegenheiten" bei der Deutschen Bischofskonferenz, aus heutiger Sicht betrachtet fast ein "Tarnname" für ein Gremium, das maßgeblichen Einfluss auf die Bischöfe nehmen und diese zum Widerstand gegen den nationalsozialistischen Staat bewegen wollte. Odilo Braun gehörte von Anfang an zu diesem Ausschuss.

In Zusammenhang mit dem "Klostersturm", der im Herbst 1940 einsetzte und im Frühjahr 1941 seinen Höhepunkt erreichte, wurden zahlreiche Klöster durch die Nationalsozialisten geschlossen und viele Ordensleute verhaftet. Da die katholischen Bischöfe zu diesen Gewaltaktionen der Nationalsozialisten schwiegen, befürchteten die Ordensleute, die Kirche werde die Klöster kampflos preisgeben. Der Ordensausschuss forderte den Einsatz der Bischöfe für die bedrohten Orden und die allgemeinen Grundrechte. Der Berliner Bischof Kardinal Preysing teilte die Anliegen des Ordensausschusses. Schon lange kämpfte er für einen kirchenpolitischen Kurswandel des Episkopats, nämlich hin zu einem deutlichen Widerstand gegenüber dem Naziregime.

Die Mitglieder des "Ausschusses für Ordensangelegenheiten" waren:

Bischof Konrad Graf von Preysing (1880 - 1950), Bischof von Berlin
Bischof Johannes B. Dietz (1879 - 1959), Bischof von Fulda
Pater Laurentius Siemer OP (1888 - 1956), Provinzial der Deutschen Dominikaner
Pater Augustinus Rösch SJ (1983 - 1961), Provinzial der oberdeutschen Jesuitenprovinz
Pater Lothar König SJ (1906 - 1946)
DDr. Georg Angermaier (1913 - 1945), Jurist und Staats-Wissenschaftler, Justiziar der Diözese Würzburg
P. Odilo Braun OP (1899 - 1981).

Sein Büro - die Dienststelle von P. Odilo Braun - unterhielt der "Ausschuss für Ordensangelegenheiten" in Berlin-Moabit, unmittelbar neben dem Dominikanerkloster St. Paulus in der Oldenburger Straße. Hier war Treffpunkt des Ausschusses, hier verkehrten der Jesuit Pater Alfred Delp SJ und andere Leute aus dem Widerstand.

Durch ihre Reisen zu den Bischöfen erfuhren P. Odilo Braun OP und P. Lothar König SJ sehr rasch, dass die Bischöfe wenig informiert waren. Angermaier arbeitete daher einen Vorschlag für ein kirchliches Nachrichtenwesen aus. Der zweite Vorschlag des Ausschusses empfahl den Bischöfen, persönlich eine "Denkschrift" mit Klagen über sämtliche Rechtsverletzungen einzureichen. Bei Ausbleiben einer Antwort sollten die Bischöfe einen Hirtenbrief verlesen bzw. persönlich predigen.

Die Argumentationsweise und die Sprache in dieser "Denkschrift" des Ausschusses unterschieden sich merklich von den vorsichtigen Schreiben des Episkopates. "Der Ernst der Stunde verlangt nun eine klare, unmissverständliche Sprache." Für die Mitglieder des "Ausschusses für Ordensangelegenheiten" war klar, dass es sich bei der Naziherrschaft um einen "totalen Staat" handelt, der sich den Menschen gegenüber in einer Vorgehensweise äußert, die nicht mehr den Prinzipien eines "geordneten Rechtsstaates" entsprach. Angesichts der menschenverachtenden Machenschaften des NS-Regimes sei die Zeit der "frommen Sprüche und Gebetbücher" zu Ende.

Pater Odilo Braun fuhr am 23. Juni 1941 nach Fulda, um den dort versammelten deutschen Bischöfen den Entwurf der "Denkschrift" persönlich zu überreichen. Doch die Deutsche Bischofskonferenz war, was die Haltung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat anging, gespalten:

  • Auf der einen Seite stand der Vorsitzende der Bischofskonferenz Adolf Kardinal Bertram von Breslau. Er betonte immer wieder mit Nachdruck die religiöse Pflicht zum Gehorsam gegenüber der staatlichen Obrigkeit. Bertram versuchte jede politische Stellungnahme der Bischöfe zu vermeiden und versuchte ein einvernehmliches Verhältnis mit den Herrschenden zu erreichen.
  • Auf der anderen Seite stand der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing, der auch die Unterstützung von Papst Pius XII. hatte. Preysing wollte die Bischöfe zu einer klaren Stellungnahme und zum Widerstand gegenüber dem Unrecht der Nationalsozialisten bewegen. Die Anliegen und Positionen des "Ausschusses für Ordensangelegenheiten", dem er selbst angehörte, lagen ganz auf seiner Linie.

Die Mehrheit der Deutschen Bischöfe jedoch scharte sich um Kardinal Bertram!

Umso wichtiger wurde der "Ausschusses für Ordensangelegenheiten". Seine Arbeitsweise war konspirativ: man traf sich immer wieder an den verschiedensten Orten und unter Decknamen. Die Patres reisten nicht, wie damals von der Kirche vorgeschrieben, in Priester- sondern in Zivilkleidung.

Um über die politische und kirchenpolitische Lage und deren Veränderung möglichst genau und frühzeitig informiert zu sein, pflegte der Ordensausschuss Kontakte zu Militärs und Personen in der Verwaltung, die bis in den Polizeiapparat reichten. Der Ausschuss hatte sehr intensive Verbindungen zu Personen des Widerstandes und besonders zum "Kreisauer Kreis". So kam es zu Zusammenkünften in Kreisau, mit Moltke und anderen Kreisauern vor allem in Berlin, München und Karlsruhe. Das Ausschussmitglied Georg Angermaier arbeitete ab Dezember 1941 an Verfassungsplänen für die Zeit nach der Beseitigung des Regimes. Auch dabei stand der Ausschuss in Kontakt mit Mitgliedern des "Kreisauer Kreises".

Die Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche wurde gesucht und als "wünschenswert und geradezu notwendig" angesehen, denn dadurch würde schließlich die überwiegende Mehrheit des Volkes sich gegen die Maßnahmen der Regierung im Protest zusammenfinden. Der Ordensausschuss begnügte sich nicht mit Gerüchten über die der öffentlichkeit nicht zugänglichen Menschenrechtsverletzungen, sondern suchte nach Wegen, die Ungeheuerlichkeiten detailliert in Erfahrung zu bringen. Besonders die Jesuiten im Ausschuss sammelten Informationen u.a. aus dem KZ Dachau sowie über die Lage der Deportierten und über die Ermordung von Juden, Sinti und Roma.

Neben Berichten aus diesen Kontakten informierte der Ausschuss regelmäßig die deutschen Bischöfe über Repressalien und Gewaltmaßnahmen der Nationalsozialisten. Daneben verfasste er eine Reihe von Stellungnahmen: dazu zählten die Vorlagen für die Hirtenbriefe vom November 1941 und Frühjahr 1942 sowie für den sogenannten "Dekalog-Hirtenbrief" von 1943.

Den Mitgliedern des Ordensausschusses ging es zunehmend weniger nur um die Wahrung der Interessen der katholischen Orden, als vielmehr um die Sammlung aller Widerstandskräfte gegen die Nationalsozialisten. Ziel war, Papst, Bischöfe, Priester, Katholiken, Protestanten und Militärkreise zu einer gemeinsamen Abwehrfront zu sammeln. Von zentraler Bedeutung aber war die Information und Stärkung des Volkes und insbesondere der Einsatz für die Verfolgten durch die Bischöfe: "Wer soll überhaupt noch für Naturrecht und Gottesgebote einstehen, wenn nicht die kirchliche Führung?"

Als taktische Maßnahmen schlug der Ausschuss den Bischöfen vor:

  • Reden statt Schweigen, denn nur durch öffentliche Anklage des Unrechts könnte den Bedrohten am ehesten geholfen werden. Beim Gesetz zur Trennung von "rassischen Mischehen", d.h. ehelichen Verbindungen von Juden und Christen, haben die Bischöfe mit öffentlichen Protesten gedroht.
  • Rechte einklagen statt Bittstellertum: d.h. gegen alle übergriffe der NS-Seite sollte Einspruch erhoben werden.
  • Klare Sprache: eine klare Sprache, die Unrecht beim Namen nennt, sollte die taktisch-verschleiernden Vorhaben der Nationalsozialisten demaskieren.
  • Verweigerung kooperativen Verhaltens: der Ordensausschuss lehnte die Entgegennahme und das Weiterleiten von staatlichen Vorschriften und Verboten entschieden ab.

Im November 1941 wenden sich die fünf Männer an die deutschen Bischöfe, um sie zu einem öffentlichen Protest zu bewegen. Dabei ging es ihnen nicht ausschließlich um kirchliche Belange, sondern vor allem um das Eintreten für die Menschenrechte. Eindringlich forderten sie: "Auch der nichtchristliche Teil in Deutschland, der unter der Last der Rechtlosigkeit und seiner eigenen Ohnmacht gegenüber Unrecht und Gewalt leidet, erwartet Hilfe und Verteidigung der allgemein menschlichen Rechte durch den deutschen Episkopat."

Die Mitglieder des Ausschusses beschworen die Bischöfe: "Der Krieg und die Entwicklung im Innern stellen Fragen, zu denen wir nicht schweigen dürfen, wenn es uns ernst ist mit den einfachsten Pflichten unseres oberhirtlichen Amtes, wenn wir nicht schuldig werden wollen vor Gott, vor euch und vor der Zukunft". Nur die Bischöfe könnten die allgemein menschlichen Rechte noch verteidigen, auch und gerade für die verfolgten Juden müssten sie eintreten.

Pater Odilo Braun schrieb am 6. März 1943 dem Ausschussmitglied und Fuldaer Bischof Johannes B. Dietz: "Meiner überzeugung nach hätte der deutsche Episkopat schon längst in der furchtbaren Juden Verfolgung als offizielle Vertreterin der Kirche in Deutschland für die unterdrückte Menschenwürde eintreten sollen".

Der Ordensausschuss kündigte den katholischerseits geforderten - und von Kardinal Bertram immer wieder betonten (s.o.) - Gehorsam gegenüber der Obrigkeit und ihren Gesetzen auf. 1943 schrieb der Ausschuss als Verfasser des "Dekalog-Hirtenbriefes": "Eine Obrigkeit, die sich nur auf äußere Macht verließe und darauf verzichtete, eine Autorität von Gottes Gnaden zu sein, verzichtet darauf, überhaupt eine Autorität zu sein, d.h. eine sittliche Befehlsmacht, die nicht nur die Leiber, sondern auch das Gewissen bindet."

Welch unerwarteten Schwierigkeiten P. Odilo jedoch begegnen musste, berichtete er: "Um eine Widerstandslinie aufzubauen, mussten die Bischöfe mobilisiert werden. Das war gar nicht so leicht. Viele Bischöfe wussten nichts oder sehr wenig von dem grausigen Geschehen, das sich bei uns im Land und in den besetzten Gebieten abspielte. Es gab aber auch Bischöfe, das stellten wir mit Entsetzen fest, die gar nicht unterrichtet sein wollten. Sie fürchteten, dass das Wissen sie zum Handeln zwingen würde, und dass dieses Handeln Gefahr für Leib und Leben bedeuten könnte."

Die deutschen Bischöfe jedoch taten sich schwer, die Schicksalsverbundenheit von Menschenwürde und Kirche öffentlich zu proklamieren: der vom Ausschuss ausgearbeitete Novemberhirtenbrief von 194I scheiterte, der Brief vom Frühjahr 1942 wurde nur in einigen Diözesen verlesen. Der "Dekalog-Hirtenbrief" aus dem Jahre I943 war die erste und letzte gemeinsame Verlautbarung des Episkopats, in der sich die Bischöfe explizit durch Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen zu Anwälten der Menschenrechte machten. Aber auch dieser "Dekalog-Hirtenbrief" wurde nicht überall, nicht gleichzeitig und nicht textgleich verlesen. Danach verstummten die Bischöfe wieder.

Das Regime schritt, abgesehen von Eingriffen auf lokaler Ebene, trotz Vorabinformation über die Hirtenbriefe von 194I, vom Frühjahr I942 und Herbst 1943 nicht ein. Je deutlicher also der Angriff auf Staat und Partei durch die Bischöfe ausfiel, desto hartnäckiger verfolgten die Nationalsozialisten ihre kirchenpolitische Linie: Material sammeln, kirchliche Proteste totschweigen, Abrechnung mit der Kirche auf die Zeit nach Kriegsende verschieben, Volksbeunruhigungen vermeiden. Nach Ansicht des Ordensausschusses hatte der Episkopat noch lange nicht das Maß dessen ausgeschöpft, was an Protest und Einsatz für die Opfer erfolgreich hätte sein können.

Es gehörte zur Konzeption des Ausschusses, die Taktik der Gegenseite für die eigenen Schritte auszunutzen. Die Verhinderung des Klostersturms im Elsass sowie eines geplanten Gesetzes zur Zwangsscheidung von "rassischen Mischehen" zeigten, wie viel zu erreichen war in diesem System unter Ausnutzung aller Handlungsspielräume und durch gezielte Informationsbeschaffung. Für die fünf Männer des Ordensausschusses galt: „Lieber für die Pflicht, für Gottes Rechte öffentlich einzutreten, zu leiden, als vor dem Volk und vor der Geschichte den Vorwurf in Kauf zu nehmen, im entscheidenden Augenblick geschwiegen zu haben.”

Der Mitverantwortung des Ausschusses verdanken wir unter anderem die heute immer wieder als beispielhaft für die Widerstandshaltung der Bischöfe herausgestellten Hirtenbriefe (so besonders den oben erwähnten "Dekalog-Hirtenbrief" vom Herbst 1943), die Verhinderung eines Gesetzes zur Zwangsscheidung sog. "rassischer Mischehen", und sogar - wie Odilo Braun für sich beansprucht - die berühmten Predigten des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen. Bei einer Tagung in Bielefeld im Juni 1978 verwies er auf folgende Begebenheit, die sich bei einer seiner zahlreichen Kurierdienste im Frühjahr 1941 zutrug:

"Ich habe, als der Klostersturm anfing, ein Verzeichnis der beschlagnahmten Klöster hergestellt, fuhr von einem Bischof zum anderen und habe da auf Widerstand gedrängt. Ich entsinne mich, beim Bischof Galen in Münster, der nachher der berühmte Mann geworden ist, dem gab ich das Verzeichnis und da sagt er: Aber bei mir ist noch kein Kloster beschlagnahmt worden. Darauf sagte ich ihm: Exzellenz, man muss auch löschen, wenn das Nachbarhaus brennt. Man darf nicht warten, bis der eigene Dachstuhl Feuer gefangen hat. Sagt er: Ja, was sollen wir denn tun, Hirtenbrief? - Es muss nicht ein Hirtenbrief sein, wenn ein Bischof die ganze Predigt vom Leder zieht, dann ist schon viel gewonnen. Darauf sagte der große Galen: Ja, dann kriegen wir Redeverbot. Sag ich: Als Bischof würde ich mich daran nicht halten. - Dann werden wir eingesperrt. - Dann sind wir einen Schritt vorwärts, wenn ein Bischof eingesperrt ist, sag ich."

Das, was manchen heute immer wieder umtreibt, die Frage nach der Rolle der Kirche in der NS-Zeit - zumeist verkürzt auf die Alternative "Widerstand" oder "Versagen" -, war nie eine zentrale Frage Odilo Brauns: der Impuls für sein unablässiges Mahnen in der NS-Zeit entsprang allein der Sorge um die unter dem Terror-Regime Leidenden. Um deren Not wirksam zu begegnen, war ihm jedes Mittel recht, schreckte er vor keiner Autorität zurück. So rettete Pater Odilo im Januar 1943 eine Frau vor ihrer Deportation, indem er sie bis Kriegsende versteckte.

Anders als der Jesuit Augustinus Rösch stritt P. Odilo Braun nie explizit ab, etwas vom Attentat am 20. Juli 1944 auf Hitler gewusst zu haben. Er betonte zwar, davon erst am Abend des 20. Juli erfahren zu haben, wies aber andererseits darauf hin, "selbst damit in so ganz engem Zusammenhang" gestanden zu haben. Seine Beteiligung an einer Denkschrift, die die Ausschaltung Hitlers durch die Generalität vorsah, betonte er eigens.

Später erinnerte sich Odilo Braun: "Wir hatten damals geplant, an Generäle heranzukommen, diese sollten dann versuchen, sich bei irgendeiner Gelegenheit Hitlers zu bemächtigen, ihn ärzten vorzuführen, seine Verrücktheit offiziell feststellen zu lassen und dann dem deutschen Volk im Rundfunk verkünden, ein Verrückter, der sich als Verbrecher gebärdet hat, ist nun unschädlich gemacht, wir haben die Sache in die Hand genommen, um wieder Ordnung in das Staatsleben hineinzubekommen. [...] Wir waren dazu fünf Männer, die an dieser Denkschrift gearbeitet haben, sie ist sogar in meinem Büro zum Teil geschrieben worden. Die Denkschrift wurde tatsächlich an die Generäle weitergegeben."

Odilo Braun - der kein Intellektueller war - diskutierte nicht die komplizierte moraltheologische Frage der Berechtigung des "Tyrannenmords" oder die Frage des "Fahneneids", sondern argumentierte bei der Begründung des Widerstandes ausschließlich mit dem "himmelschreiende(n) Unrecht, das im nationalsozialistischen Staat amtlich und offiziell befohlen, organisiert und auch wirklich begangen wurde".

So sei es "zwangsläufig zum Widerstand aus dem Glauben" gekommen. Dem Volk und dem Land habe durch das Attentat der weitere furchtbare Krieg erspart, dem "Massenmassaker an Juden und Ausländern" habe ein Ende gemacht werden sollen. Sie hätten "die Menschenwürde retten" wollen. Darum seien sie "so stark bei aller Folter und bei aller Quälerei" gewesen. Die Frage aber sei für sie gewesen: "Wird mein Opfer womöglich umsonst sein"? Diese Frage habe ihn seither nicht mehr verlassen.

Nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 geriet P. Odilo Braun, wie unzählige andere Regimegegner, sofort ins Visier der Gestapo. Waren die Jesuiten Lothar König SJ und Augustinus Rösch SJ sowie P. Laurentius Siemer OP, der Provinzial der deutschen Dominikaner, den Fahndern jeweils kurz zuvor entwischt und untergetaucht, so wollten sie bei P. Odilo Braun sichergehen, man wollte ihn anders packen. Am 28. Juli erfuhr Braun, dass die Gestapo ihn seit dem 21. Juli suchte und dass man auf ihn eine Agentin angesetzt hatte. Am 7. Oktober 1944 erschien diese im Büro Brauns in der Oldenburger Straße Nr. 46, doch Pater Odilo konnte rechtzeitig über das Dach in das benachbarte Dominikanerkloster entkommen. Um einer Festnahme zu entgehen, reiste er nun kreuz und quer durch Deutschland. Braun, der im Rahmen seiner Tätigkeit für die "Superioren-Vereinigung" und den "Ausschuss für Ordensangelegenheiten" auch zuvor schon häufig unterwegs war, setzte nun diese Reisetätigkeit fort. U.a. besuchte er das Ordensausschussmitglied Bischof Dietz in Fulda sowie Kardinal Faulhaber in München, "um sie zu informieren, wie sie sich im Falle eines Gestapobesuches verhalten sollten".

Braun wusste, was ihn im Fall einer Verhaftung erwarten würde: er hatte die blutdurchtränkte Kleidung eines Gefangenen - wahrscheinlich Alfred Delps SJ -, die zum Waschen außerhalb des Gefängnisses gegeben worden war, gesehen.

Am 25. Oktober 1944 wurde an Odilo Brauns Berliner Anschrift ein militärischer Musterungsbefehl zugestellt. Dies zwang Braun zur Fahrt nach Berlin. Zwei Tage später begab er sich vom Dominikanerkloster zum Wehrbezirkskommando in der Woyrschstraße. Vom Bahnhof Zoo aus beabsichtigte er die S-Bahn zu nehmen. Auf dem Bahnsteig verhaftete ihn ein Gestapo-Beamter. Nach der Festnahme wurde Braun zur Gestapo-Leitstelle in der Französischen Straße gebracht und dort mehrere Stunden lang vernommen. Als Haftgrund nannte man ihm "Verdacht des versuchten Hochverrats, Organisierung des Widerstandes gegen Klöster-Beschlagnahme".

Pater Odilo Brauns Fall trug das Aktenzeichen der Abteilung des Reichssicherheitshauptamtes "Sonderausschuss für den 20. Juli 1944". Am Abend gegen 21 Uhr wurde er in das Zellengefängnis Lehrter Straße 3 in Berlin-Moabit eingeliefert. Unmittelbar vor Verlassen der Dienststelle bemerkte Braun zum ärger des vernehmenden Beamten, dass auch seine Sekretärin Aenne Vogelsberg inzwischen festgenommen und verhört worden war. Zwei Tage später durchsuchten 13 Gestapobeamte die Büroräume Brauns in der Oldenburger Straße Nr. 46.

Das Gefängnis Lehrter Straße 3, in das man Braun gebracht hatte, diente als Militär- und Gestapo-Gefängnis. Die Gefängniswärter standen unter SS-Kontrolle. Braun unterlag strenger Einzelhaft mit Haftverschärfung, d. h. er hatte Lese- und Rauchverbot und durfte nicht an der Freistunde teilnehmen. Als Glück erschien es ihm daher, dass ein Gefängniswärter, ein sudetendeutscher SS-Mann, "rührend bemüht" gewesen sei, ihm Erleichterung zu verschaffen. Fortan konnte Braun an der Freistunde teilnehmen. Als P. Augustinus Rösch SJ in Moabit eingeliefert wurden, erfuhr Braun dies vom Wärter mit den Worten: "Ich dachte, dass Sie das vielleicht interessieren könnte".

Odilo Braun hatte am I4. Dezember 1944 das für ihn schlimmste Verhör in der Meinekestraße 10, einer Dienststelle des Reichssicherheitshauptamtes. SS-Sturmführer Heinz Steffens begann um 9 Uhr morgens und beendete die Torturen am Spätnachmittag. Braun musste 208 Kniebeugen machen und verlor das Gehör auf dem rechten Ohr. Doch Steffens konnte keinen Erfolg verbuchen. Braun wurde von ihm als "der Hund, der rumgefahren ist und die Bischöfe aufgehetzt hat "beschimpft. Steffens habe "seinen ganzen Hass gegen die Pfaffen mit 'Herz und Mund und Händen'" gezeigt.

Odilo Braun schilderte später, er habe im Gefängnis den "Verrückten" gespielt. Auch die Vernehmenden sollten den Eindruck gewinnen "er habe es nicht ganz". Schon früher sei er ein "vorzüglicher Schauspieler" gewesen.

Nach dem Krieg beschrieb er, wie er diese belastende Zeit zu überstehen versuchte, so u. a. mit Betrachtungen zu den 14 Kreuzwegstationen Jesu. Entscheidend für Braun und eine Reihe von Mitgefangenen aber wurde, dass ihm konsekrierte und nicht konsekrierte Hostien und Messwein in das Gefängnis geschmuggelt wurden. Braun konnte in der Zelle die Messe feiern und Mitgefangenen "durch zwei Kalfaktoren, die nicht zu unserm Kreis gehörten - es waren ein Jude und ein Bibelforscher" die Kommunion auf die Zellen tragen lassen. Während des Rundgangs in der Freistunde suchten die Gefangenen, bei Braun zu beichten und die Absolution zu erlangen. Für Pater Odilo Braun waren diese seelsorgerischen Dienste "wirkliche Priesterfreude".

Im Rückblick schrieb Braun in einem Brief vom 5.1.1968 an einen kirchlichen Amtsträger: "Als ich vor mehr als 20 Jahren in Abgeschlossenheit Zeit zum Nachdenken hatte, da habe ich gefunden, dass viel Schlimmes in unserem Vaterland nicht geschehen wäre, wenn wir im innerkirchlichen Raum unsere Fehler beseitigt, statt sie mit frommen Sprüchen und Gebetbüchern zugedeckt hätten."

Am 12. Februar 1945 wurde Odilo Braun entlassen. Er machte auf andere einen elenden Eindruck. über Tod von Pater Alfred Delp SJ - er wurde am 2. Februar 1945 hingerichtet - war er sehr erschüttert. Doch Braun wuchsen neue Aufgaben zu: den im Gefängnis einsetzenden Freunden zu helfen. Einer von ihnen war sein Mitstreiter im "Ausschuss für Ordensangelegenheiten" Pater Augustinus Rösch SJ.

Nach dem Zusammenbruch des III. Reiches war P. Odilo Braun in verschiedenen seelsorglichen Bereichen tätig:

  • Von 1945 bis 1958 war er Gefängnisseelsorger in Berlin. Bischof Preysing bat Braun um den Seelsorgsdienst, den der Dominikaner unkonventionell erledigte. In leer stehende Wohnungen vermittelte er Obdachlose, besorgte Kleidung, Wäsche, Lebensmittel.
  • Von den Alliierten wurde Braun als Vorsitzender von vier Entnazifizierungskommissionen berufen, denen er von 1946 bis 1948 vorstand. Entgegen seiner als erfüllend erlebten seelsorglichen Tätigkeit blieb diese Aufgabe Odilo Braun bedrückend in Erinnerung. Lüge, Verleumdung, Intrigen, Hass, Neid, Unverschämtheit bis zur Bedrohung seien ihm dort begegnet. Er habe aber manchem, der "das Opfer der Gemeinheit werden sollte", helfen können.
  • Nach langer Krankheit und Kur folgte zwischen 1950 und 1953 die Seelsorgsarbeit beim "Katholischen Notwerk Berlin", das in der Haupt-Beratungsstelle Berlin-Marienfelde die aus der Sowjetisch Besetzten Zone kommenden Menschen betreute.
  • 1953 begann Braun als Lagerpfarrer im Flüchtlingslager Berlin.
  • Schließlich beteiligte sich Pater Odilo am Aufbau des Dominikanerklosters in Braunschweig. Diesem Konvent gehörte Braun bis zu seinem Tode an.
  • Der Bischof von Hildesheim, Heinrich Maria Janssen, berief den Dominikaner Mitte 1960 für die Seelsorge im Notaufnahmelager Uelzen, wo Braun bis 1964 seinen Dienst versah.
  • Von 1968 bis 1981 war Braun Mitglied des Kuratoriums der Stiftung "Hilfswerk 20. Juli 1944". Er hatte damit Einfluss besonders auf die jährlichen öffentlichen Gedenkfeiern, in denen sich das Selbstverständnis des in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile geehrten und anerkannten Widerstands ausdrückte.
  • Pater Odilo Braun war es, der sich mit den Angehörigen und überlebenden des 20. Juli 1944 zu Gebeten und später zu Gottesdiensten in Plötzensee zusammenfand.
  • 1976 baute er sein "Haus des neuen Anfangs" für Strafentlassene in Groß Schwülper im Kreis Gifhorn mit seiner Haft-Entschädigung und Spendengeldern. Er verbrachte dort seinen Lebensabend.


Odilo Braun mit Herzogin Victoria Luise von Braunschweig

Am 9. August 1981 starb Pater Odilo Braun in Braunschweig. Sein Grab befindet sich in der Grabstätte der Dominikaner auf dem Katholischen Friedhof in Braunschweig.

P. Wolfgang Stickler OP, Braunschweig, im Oktober 1998

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