Jean Ipoustéguy: Porte du Ciel


Jean Ipoustéguy: Porte du Ciel, 2000

 

Predigt von P. Martin Rosner OP

Eingangssituation – Jean Ipoustéguys „Porte du Ciel“

Direkt vor dem Glockenturm der Kirche St. Albertus Magnus steht die „Pforte des Himmels“! Eine vier Meter hohe Stahlskulptur des französischen Künstlers Jean Ipoustéguy, der neben Henry Moore der bedeutendste Bildhauer des 20. Jahrhunderts ist. Vor einigen Jahren war er im Dominikanerkloster im Rahmen von „Kunst im Kloster“ mit einer Ausstellung zu Gast. Seit dem Jahr 2000 leben wir mit dieser monumentale Stahlskulptur, die der Künstler „Porte du Ciel“ – „Pforte des Himmels“ nannte.

Porte du Ciel – Beschreibung

In dieser „Pforte des Himmels“ dürfen wir die Gottesmutter Maria erkennen. So hat es der Künstler sehr deutlich ausgesprochen und schriftlich fixiert.

Die Vorderseite der Skulptur zeigt Maria als stilisierte menschliche Gestalt, die sich im oberen Teil dem Betrachter entgegen neigt. In ihrer halbrunden Gestalt wirkt sie wie eine Ummantelung oder ein gestärktes Gewand. Man erkennt einen Kopf und – aus dem Stahl herausgesägt im Negativ – Hände, die sich öffnend nach oben ausbreiten.

Die Rückseite besteht aus einer großen Scheibe, die sich im oberen Teil ebenfalls neigt und in ihrer runden Vollkommenheit und Unendlichkeit Gott symbolisiert. In der Herzgegend, ist die Skulptur nach beiden Seiten quadratisch aufgerissen. Dieser Durchbruch verbindet beide Teile miteinander. In der Mitte dieser Verbindung findet sich ein silbernes Kreuz eingefügt: Ein Kreuz, wie es an einer „Porte du Ciel“ – einem Himmelstor – stehen könnte.

Lauretanische Litanei und Motiv der Schutzmantelmadonna

„Porte du Ciel“ – „Pforte des Himmels“ nennt Ipoustéguy seine Arbeit für die Braunschweiger Dominikaner und er verweist mit seinem Titel auf die vielen Anrufungen der Lauretanischen Litanei, die sich an die Gottesmutter Maria richten. Maria wird dort mit zahlreichen verschiedenen Bezeichnungen angesprochen, die ihre Rolle in der Heilsgeschichte direkt oder symbolisch ansprechen: „Heilige Mutter Gottes“; „Sitz der Weisheit“; „Heil der Kranken“ oder „Königin der Apostel“. Jede einzelne Anrufung wird mit einer Bitte um die Fürbitte Mariens bei Gott verbunden. So auch die Anrufung: „Du Pforte des Himmels, bitte für uns!“ - „Porte du Ciel“.

Weiter verweist der Künstler mit seiner Stahlskulptur auf das Motiv der sogenannten Schutzmantelmadonna. Eine Schutzmantelmadonna ist eine Darstellung der Gottesmutter, unter deren ausgebreiteten Mantel sich betende Menschen befinden; symbolisch unter dem Schutz Mariens. Derartige Darstellungen gibt es seit dem 13. Jahrhundert, häufig übrigens im Dominikanerorden. Im Gegensatz zur typischen Madonnenfigur, hat die Schutzmantelmadonna kein Jesus-Kind in den Händen, sondern hält mit ihren Händen den Mantel.

Mit diesen beiden Themen, dem der „Pforte des Himmels“ und dem des Schutzmantel-Motivs behandelt der Künstler theologische Themen, wo es um die Beziehung zu Gott und das Verhältnis der Menschen miteinander geht.

„Pforte des Himmels“ – Beziehung zu Gott

Jean Ipoustéguys „Porte du Ciel“ verlangt nach einer Interpretation, die ihren Blick auf Maria die Gottesmutter richtet, was aber nicht bildlich oder im Wortsinn zu verstehen ist. Maria wacht nicht über die Himmelspforte im Sinne, dass sie über Einlass oder Abweisung bestimmt. Verehren wir Maria, mit welchem Ehrennamen auch immer, verehren wir die Gottesgebärerin – die Theotokos! Sie ist die Frau, durch deren Bereitschaft Gottes Inkarnation möglich wurde, die den menschgewordenen Gott in ihrem Leib trug. Das bedeutet, dass Maria nur in Blick auf Christus, der uns den Weg zum Himmel gewiesen hat, gesehen werden kann.

Und so tut es auch der Künstler mit seiner Marienskulptur: In der Öffnung in der Mitte, da wo Vorder- und Rückseite miteinander verbunden sind, steht das Kreuz und verweist auf Christus. Das Kreuz steht für die frohe Botschaft und die Verkündigung Jesu. Es steht für sein Heilen, sein Helfen und für sein Aufrichten. Es steht dafür, dass er es mit dem Menschen ernst gemeint hat und Leid, Kreuz und Tod für uns auf sich nahm. Ja, und blickt man durch diesen Durchbruch in der Skulptur, sieht man dahinter den Himmel – ein Verweis auf den Sieg über den Tod, die Auferstehung und die Himmelfahrt.

Die Skulptur trägt den Titel „Pforte des Himmels“, weil Maria Gott die Möglichkeit gab – fleischgeworden – auf die wirkliche „Pforte des Himmels“ zu verweisen. Der Evangelist Johannes schreibt dazu: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“

 Schutzmantel-Motiv – Verhältnis der Menschen miteinander

Steht man vor der „Porte du Ciel“ erscheint diese in ihrer halbrunden Gestalt und mit ihrer Krümmung zum Betrachter hin wuchtig und gleichzeitig bergend; eine Ummantelung, die von drei Seiten her Schutz bietet. Man könnte sich problemlos in die Skulptur stellen und versuchen, die Perspektive eines Schutzsuchenden einzunehmen. Was die Deutung der Skulptur betrifft: Sich also unter dem Schutz der Gottesmutter stellen und sich ihr anvertrauen. Dabei stellt sich natürlich die Frage, warum uns denn Maria schützen soll? Für was und für wen? Und die Antwort kann nur lauten: Damit wir die frohe Botschaft hören und unser Handeln auf Christus hin ausrichten; dass wir es ihm gleichtun und – um das Bild der Schutzmantelmadonna weiterzuzeichnen – uns selber als Schützende für unsere Nächste und für unseren Nächsten erweisen. Im Evangelium des Lukas sagt Jesus über sich „Der Herr (...) hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze.“

Es geht darum, dass wir die Geborgenheit, die wir in Gott erfahren, an andere weitergeben, dass wir füreinander ein Herz haben, dass wir uns gegenseitig aufrichten. Dass wir mit dem Auftrag leben, uns Schutz zu bieten – ja, dass wir uns gegenseitig Schutzmantel sind gegen Entfremdung, Herzenskälte und Gottesferne. Das ist es, worauf es ankommt: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden“ heißt es in der Bergpredigt bei Matthäus.

Skulptur eine Art von Segen

Die „Porte du Ciel“ ist ein eindrucksvolles spirituelles Zeichen. Sie ist eine Vorbereitung für alle, die hier ankommen: Die unsere Kirche besuchen, Gottesdienst feiern und die Gemeinde kennen lernen wollen. Weiter ist sie eine Art von Auftrag, das Gehörte, also das Evangelium, die frohe Botschaft, weiterzusagen und zu leben: In der Konsequenz schützend für andere! Jean Ipoustéguys Skulptur ist eine Art von Segen, der in die ganze Stadt hineingesprochen wird: Eine Marienskulptur, die ganz auf uns Menschen und ganz auf den Christus verweist.

© Martin Rosner, Braunschweig 2006

 

Informationen zum Künstler